Die FONDATION SUISA definiert ihren kulturellen Förderauftrag nicht nur mittels finanzieller Beiträge an musikalische Vorhaben, sondern auch in Form von Bewusstseinsbildung und Wissenstransfer.
Ein zentrales Anliegen ist dabei die Sensibilisierung der Musikschaffenden in Fragen der sozialen Sicherheit und zu den wirtschaftlichen Mechanismen unseres Systems: Niemand kann sich diesen Herausforderungen entziehen. Nur wer in der Lage ist, sich selbst zu organisieren und Eigenverantwortung zu übernehmen, wird einen persönlichen Nutzen daraus ziehen können.
Im folgenden, nachpublizierten Beitrag bringt es die Musikerin, Produzentin und Komponistin Cégiu (Céline-Giulia Voser) präzise auf den Punkt: «Liebe Musikschaffende, kümmert Euch selbstbewusst um Eure Anliegen!»
Dieser Aufsatz wurde ursprünglich publiziert auf:
sozialesicherheit.ch
Besten Dank!
«Wieso haben wir das nicht früher gemacht?»
von Céline-Giulia Voser
«Mein Name ist Céline-Giulia Voser alias Cégiu. Ich bin als internationale Musikerin, Komponistin und Produzentin tätig. Dass Menschen in der Schweiz rein von Musik leben können, ist immer noch selten. Gerne möchte ich ausführen, wie ich das hinbekommen habe. Zugleich ist es mir wichtig, auch Tücken unseres Systems aufzuzeigen.
Während meiner Studienzeit hatte ich eine kleine Festanstellung und war als Selbstständige im Nebenerwerb gemeldet. Um mehr kümmerte ich mich damals nicht. Immerhin zahlte meine damalige Arbeitgeberin AHV-Beiträge. Als ich nach Abschluss meines «Contemporary Art Performance»-Studiums in Luzern und New York meine Festanstellung kündigte, meldete ich mich bei der Ausgleichskasse als Selbstständige im Haupterwerb an und gründete zusätzlich eine einfache Gesellschaft mit meinem Partner, der damals ebenfalls selbstständigerwerbend war. Dank Hinweisen aus meinem Umfeld und des Berufsverbandes habe ich mich ab diesem Zeitpunkt auch um die zweite und dritte Säule sowie die Unfallversicherung und die Krankentaggeldversicherung gekümmert.
Die Behörden hingegen waren mit meinem Arbeitsprofil überfordert. Der Grund: Die Angestellten von Ausgleichskassen und Steuerbehörden, mit denen ich Kontakt hatte, konnten sich nicht in die Arbeitsrealität einer Musikerin hineinversetzen.
Selbstständig oder angestellt?
Im Jahr 2014 kam unser Kind zur Welt. Während der Schwangerschaft hatte ich versucht, mich bezüglich der Mutterschaftsentschädigung zu erkundigen – und verzweifelte fast. Die erste Frage der Ausgleichskasse war: «Sind Sie angestellt oder selbstständigerwerbend?» Meine Antwort war: «Beides», denn meine Einkünfte bestanden damals zur Hälfte aus freischaffender Tätigkeit – also bei vielen Arbeitgebenden zeitlich befristeten Projektanstellungen – und zur anderen Hälfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Am anderen Ende der Leitung folgte Stille und Ratlosigkeit.
Somit stand ich vor einem Problem: Bei meinen Arbeitgebenden konnte ich nicht um Mutterschaftsentschädigung fragen, da ich als Freischaffende jeweils nur projektweise für kurze Perioden von maximal einer Woche bei vielen verschiedenen Arbeitgebenden angestellt war. Und bei der selbstständigen Erwerbstätigkeit war mein steuerbares Einkommen, das als Berechnungsgrundlage gilt, sehr tief. Eine Mindestentschädigung bei der Erwerbsausfallentschädigung Mutterschaft gibt es bis heute nicht.
So erhielt ich am Ende ein sehr tiefes Taggeld und musste auf mein gesamtes Erspartes zurückgreifen. Denn die Ateliermiete, die Instrumentenpflege, die beruflichen Versicherungen, all diese Ausgaben musste ich ja weiterhin bezahlen.
Zum Glück waren die Ausfälle gegen Ende der Schwangerschaft durch meine Krankentaggeldversicherung gedeckt. Besonders traf mich – als Verfechterin eines egalitären Rollenverständnisses – die Aussage einer Ausgleichskassen-Angestellten am Telefon, die meinte: «Sie haben ja einen Mann, der verdient.»
Drei Hypothesen
Meine Erfahrungen liessen mich drei Ursachen für die Herausforderungen bei der sozialen Absicherung von Musikschaffenden erkennen, die jedoch nicht nur Musikschaffende, sondern – grundsätzlich – Gebärende sowie Eltern und viele Branchen mit hybriden Arbeitsverhältnissen betreffen.
Erstens scheint das stereotype binäre Rollenverständnis mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Hausfrau oder Zusatzverdienerin immer noch stark in unserem Sozialversicherungssystem verankert zu sein. Ich frage mich beispielsweise, wie selbstständigerwerbende, alleinstehende Mütter mit einem geringen Einkommen (vor der Geburt) über die Runden kommen. Ohne eine Mindestentschädigung und Ersparnisse sind wohl viele gezwungen, zum Sozialamt zu gehen.
Wäre es nicht viel einfacher und respektvoller, eine Mindestentschädigung für gebärende Menschen festzusetzen, so wie es bei der Erwerbsausfallentschädigung für Armeedienstleistende der Fall ist? Schliesslich ist Nachwuchs erwiesenermassen notwendig für eine funktionierende Wirtschaft und unsere AHV.
Zweitens scheinen die derzeitigen Strukturen nicht für hybride Arbeitsverhältnisse gemacht zu sein: Entweder bist du hauptsächlich bei einer Arbeitgeberin angestellt oder hauptsächlich selbstständig. Die komplexe Realität von Musikschaffenden passt jedoch oft nicht in dieses Schema.
Drittens: Die Berücksichtigung von Honorarempfehlungen und das Bezahlen von existenzsichernden Gagen ist für mich Teil der sozialen Sicherheit. Hinzu kommt die Pflicht seitens der Musikschaffenden, sich Wissen und Kompetenzen über die Sozialversicherungen anzueignen – etwas, das seit der Pandemie vermehrt passiert, aber immer noch stark vernachlässigt wird.
Meine eigene Firma
Ende 2016 folgten ich und mein Partner dem Rat unserer Treuhänderin – und gründeten eine eigene Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Als Angestellte meiner eigenen Firma zahle ich mir nun einen regelmässigen Lohn. Ich generiere Einnahmen mit Performance-, Probe- und Aufnahmegagen, hinzu kommen Verkäufe von Musik und Merchandise. Weiter erhalte ich Kompositions-, Arrangements- und Produktionshonorare sowie Tantiemen, Workshop- und Mentoratshonorare. Zudem vermieten wir unser Equipment, teilweise unsere Arbeitsräume und haben Einnahmen aus Dienstleistungen in der Musik- und Eventwirtschaft sowie im Backoffice. Ausserdem erhalte ich Entschädigungen als Teil von Jurys, Vorständen und Arbeitsgruppen.
Heute hat unsere Firma zwei zusätzliche Festangestellte und einige Personen, die wir projektbezogen anstellen. Für einzelne kleine Nebeneinkünfte bin ich von externen Arbeitgebenden direkt angestellt. Ansonsten laufen alle meine Erwerbstätigkeiten über das Unternehmen.
Der Ausbruch der Pandemie 2020 brachte unser Unternehmen ins Wanken. Überstanden haben wir diese Zeit dank staatlicher Unterstützung (Kurzarbeitsentschädigung, kantonale Ausfallentschädigung, Covid-19-Kredit), vorausschauender Finanzplanung und Schwerpunktverlagerung bei den Tätigkeiten.
Heute bin ich froh, dass wir den unternehmerischen Schritt gewagt haben – wenngleich das System noch nicht optimal ist: Als Angestellte meiner eigenen Firma zahle ich beispielsweise zwar Arbeitslosenversicherungsbeiträge, kann aber im Falle einer Arbeitslosigkeit kein Taggeld beziehen. Trotzdem denke ich ab und an: Wieso haben wir das nicht früher gemacht? Klar, es fehlte das Kapital. Mittlerweile würde ich meinem jüngeren Ich jedoch raten, ohne schlechtes Gewissen auf die Suche nach einem Darlehen dafür zu gehen.
Wir können das auch
Ich wünsche mir, dass wir Musikschaffende uns künftig stärker mit Fragen der sozialen Absicherung auseinandersetzen. Wir sollten unseren Beruf als Profession betrachten und Verantwortung übernehmen. Das ist häufig eine Frage des Selbstbildes: Viele Musik- respektive Kulturschaffende sehen sich selbst als kreative Köpfe und wollen sich nicht mit AHV-Nummern und Taggeldern herumschlagen. Ich jedoch bin der Meinung, dass wir in das aktuelle System investieren müssen, wenn wir davon profitieren wollen. Zudem sind wir nicht die einzigen kreativen Berufstätigen: Kreativität ist in vielen Branchen gefragt, die oft sehr wohl mit professionellen Strukturen umgehen können. Wieso sollten wir das nicht auch können?
Zugleich wünsche ich mir, dass das Sozialversicherungssystem unsere Arbeitsmodelle besser berücksichtigt. Indem unser Beruf nicht mehr verromantisiert wird, kann hoffentlich der Weg zur Bezahlung von existenzsichernden Honoraren unter Berücksichtigung von Honorarempfehlungen geebnet werden.»