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«Der jetzt eingeschlagene Weg wird sich als krisenresistent erweisen»

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Urs Schnell, der Corona-Lockdown kam im März dann doch für alle sehr rasch. Plötzlich war anstelle des täglichen Ganges ins Büro Home-Office angesagt. Wie hast Du diese Zeit erlebt?

Urs Schnell: Zu Beginn war es seltsam, gingen einem doch auf einen Schlag sämtliche zeitlichen und räumlichen Koordinaten verlustig. In der Folge realisierte ich, wie energieaufwändig und ressourcenintensiv für mich als Berufspendler das ständige Reisen mit Zug und Flugzeug eigentlich ist. Meine Erkenntnis daraus: Meetings irgendwo in der Schweiz müssten in Zukunft nicht zwingend physisch abgehalten werden. Die dank der Digitalisierung zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel, darunter zahlreiche webbasierte Videolösungen, führen hoffentlich dazu, dass die Akzeptanz für die dezentrale und mobile Arbeit zunimmt.

Das gesamte Team der FONDATION SUISA arbeitete demnach von zu Hause aus?

Ja. Wir haben uns nach einer kurzen Unsicherheit relativ rasch neu orientiert und uns im Home-Office gut eingelebt. Die Zusammenarbeit klappt ausserordentlich gut. 

Wie stark war die Umstellung von realer Zusammenarbeit zu einem virtuellen Miteinander? Und worin siehst Du die grössten Herausforderungen?

Die Umstellung war kein Problem, da wir bereits zuvor weitgehend papierlose und medienbruchfreie Arbeitsabläufe hatten. Eine der Herausforderungen lag darin, sämtliche Kommunikationskanäle zu etablieren. Wichtig war es auch, Zuversicht auszustrahlen – sowohl gegen innen wie gegen aussen. Das ist uns, glaube ich, ziemlich gut gelungen. Eine andere Herausforderung allerdings bleibt bestehen: Unsere Planung – sowohl mittel- wie langfristig – ist plötzlich ein Vabanquespiel. Heutige Erkenntnisse und die daraus resultierenden Entscheide können je nach Entwicklung der Krise morgen bereits wieder hinfällig sein. 

Strukturen und Abläufe in einer Stiftung neigen in «normalen Zeiten» zu einer gewissen Behäbigkeit. 

Da hast Du recht. Dienstwege, Reglementarien und Governance-Regeln stehen oftmals einem agilen, auf die Situation fokussierten flexiblen Handeln im Wege. Wir waren innert weniger Stunden gezwungen, die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten neu zu klären, um als Team auf der Geschäftsstelle rasch und flexibel handeln zu können. Dabei wurde der Stiftungszweck jederzeit respektiert, aber die reglementarischen Dienstwege wurden wo immer möglich abgekürzt.

Ich nehme an, dass dies die Direktion nicht alleine beschloss.

In der zweiten Woche des Lockdowns bildeten wir einen sogenannten «Corona-Ausschuss», der sich aus 3 Stiftungsratsmitgliedern zusammensetzte, die mit Beschlusskompetenz ausgestattet wurden. Sie haben die Direktion eng begleitet und uns auch den Rücken freigehalten.

Mit der veränderten Lage wurde auch die Förderinstitution in ihrer aktuellen Identität plötzlich in Frage gestellt. Welche Fragen drängten sich in dieser Hinsicht auf?

Sicher gilt es Fragen zur internen Struktur zu klären. Eine unserer Hauptaufgaben ist die Bearbeitung von Gesuchen. Wir sind also eine in ihren Grundsätzen reagierende Organisation. Die Krise aber zwang uns dazu innerhalb kürzester Zeit aktiv in das Geschehen um uns herum einzugreifen . Plötzlich wurden wir zu Mitgestaltern. Dank intensiven Online-Gesprächsrunden mit anderen StiftungsvertreterInnen und mit Verantwortlichen auf Ebene Bund und Kantone haben wir in dieser Situation die Orientierung nicht verloren. Andererseits waren aber auch wir in der Lage, dank unserem Know-how, wichtige Impulse zu setzen. Es waren also konstruktive Diskussionen auf Augenhöhe, von denen alle Beteiligten profitierten.

Da wir nicht wissen, wie die Welt nach Corona aussehen wird, bleiben zurzeit wohl einige Fragen noch offen.

Dennoch muss man diese jetzt im Auge behalten und laufend validieren. Mich beschäftigen im Besonderen jene Fragen, die tief in die Grundsätze des Schweizer Kulturbetriebes hineinreichen. Wir müssen über die heutige Von-der-Hand-in-den-Mund-Ökonomie sprechen, die keine Möglichkeit der Reservenbildung zulässt. Ebenso über die komplizierten, unkoordinierten föderalistischen Strukturen mit ihren ungeklärten Zuständigkeiten. Zusammenarbeit, Koordination und Transparenz werden künftig nötig sein, um als Gemeinschaft krisenresistenter zu werden. Unsere Hauptzielgruppe, AutorInnen und UrheberInnen und ja, die Musikschaffenden als Ganzes wurden auf einen Schlag ihrer Berufstätigkeit Beraubt. Wir müssen unser Angebot, darunter ganz besonders die Finanzierung von Tourneen, neu andenken, ohne dass wir dabei alle Grundsätze über Bord werfen. 

Du hast es angesprochen: Die Veränderung für Schweizer Musikschaffende war und ist beträchtlich. Wie hat man diese intern wahrgenommen? 

In erster Linie durch die abgesagten oder verschobenen Anlässe. Ab März kam alles komplett zum Erliegen. Unsere Stiftung agiert ja nicht im luftleeren Raum – unsere verfügbaren Mittel hängen direkt ab von den Einnahmen aus den Aufführungs- und Senderechte der SUISA  – und damit ist die Rechnung eine ziemlich Einfache: keine Konzerte – keine Aufführungsrechte. Trotz dieser dramatischen Zustände war es für uns wichtig, nicht in eine Panikreaktion zu verfallen und stets den Blick auf die Zukunft zu wahren. Stiftungen sind eher dazu prädestiniert, den Wieder- oder Neuaufbau der Systeme zu begleiten – genau so wie die öffentliche Hand ihrer Rolle in einer Notsituation gerecht werden muss, um die Infrastruktur zu garantieren.

Welche Gedanken hat man sich hinsichtlich der zukünftigen Rolle, die die FONDATION SUISA spielen soll, gemacht?

Selbstverständlich sind wir noch nicht so weit, dass wir bereits fertige Rezepte präsentieren können. Ich denke aber, dass der mit «Get Going!» eingeschlagene Weg sich als recht krisenresistent erweisen wird: Nämlich weniger auf fertige Produkte oder Projekte zu zielen, sondern schlicht und einfach «Dinge» zu ermöglichen. Und diese «Dinge» entstehen ja dann auch meist als Reaktion auf die jeweilige Zeit und Situation, in der sich ein Künstler, eine Künstlerin befinden. Ich möchte aber auch verstärkt den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zum Thema Musikförderung vorantreiben. Wie lässt sich Musikförderung künftig nachhaltig umsetzen? Welchen Stellenwert soll die Musik in Zukunft spielen als eine jener Kunstformen, die unsere Gesellschaft wesentlich mitprägt?

Was hast Du ganz persönlich für Schlüsse gezogen aus dieser Home-Office Phase?

Es gibt eine Minderheit, auch in unserer Branche, die vielleicht das ganze Ausmass dieser Krise noch nicht vollständig verarbeitet hat und einfach im Wartemodus die Rückkehr der Normalität erwartet. Man sagt oft, Krisen würden auch Chancen beinhalten. Das stimmt. Eine ganz grosse Qualität, die für alle ersichtlich zu Tage trat, war die Solidarität, der Goodwill und das Engagement vieler Menschen – bei den Künstlerinnen und Künstlern genauso wie bei den Machern im Hintergrund. Und zu denen zähle ich auch mein ganzes Team in der Geschäftsstelle wie im Stiftungsrat – alle begegneten dieser aussergewöhnlichen Situation mit reichlich professioneller Abgeklärtheit. Chapeau!

Die Fragen wurden mir von Rudolf Amstutz, Journalist, gestellt.