Manchmal seltsam, welche Gedanken einem beim Musik hören kommen. So jüngst geschehen, als ich mir wieder einmal das wunderbare Album «Kind of Blue» von Miles Davis angehört habe. Und mich dabei daran erinnerte, dass diese Musik ursprünglich auf Vinyl, also auf Langspielplatte, erschienen war.
33 1/3 Umdrehungen pro Minute – so gemächlich dreht sich eine Schallplatte – doch auf dieser so präzis durchgetakteten Zeitebene geschieht Unglaubliches. «So What» – bereits die ersten Basslinien ziehen einen in eine andere Welt. Der sich in der Folge erhebende Rhythmus setzt Gedanken frei, und die beginnen oft an Stellen, die man nicht erwartet hätte. Ich gebe zu, hätten wir nicht gerade jetzt eine überarbeitete Webseite inklusive neuem Gesuchsportal online gestellt, hätte ich mich nicht so intensiv mit der Geschichte der Stiftung auseinandergesetzt. Und dann wäre ich wohl kaum darauf gestossen, dass 33 1/3 nicht nur für die Umdrehungsgeschwindigkeit einer Langspielplatte steht, sondern dass die FONDATION SUISA dieses Jahr 33 1/3 Jahre alt geworden ist – ein Drittel Jahrhundert.
Wie Miles Davis und John Coltrane, die in der Folge in Stücken wie «Freddie Freeloader», «Blue in Green» und «All Blues» munter mit den zeitlichen Ebenen jonglierten, das Gestern mit dem Heute verbanden, um ein neues Morgen zu skizzieren – so improvisierte ich mich gedanklich durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer Stiftung.
Der Plattenspieler – bei der Gründung der Stiftung noch einer der Hauptprotagonisten – verschwand in der Folge schnell. Via Compact Disc verflüssigte sich der physische Tonträger Richtung virtueller Raum und mit dem Verlust des Haptischen wurde die Musikindustrie völlig aus den Angeln gehoben. Ein gigantischer Wandel vor allem für jene, die von der Musik leben. Aber auch für jene, die das aktuelle Musikschaffen unterstützen.
Unter den flüchtigen, melancholischen Klängen von Miles’ Trompete dachte ich an die Tausenden von Gesuchen, die in diesen 33 1/3 Jahren geprüft wurden, die unzähligen Stunden an den ausländischen Messen, um die Schweizer Musik nach aussen zu tragen. Und vor allem an die vielen Menschen – ob im Stiftungsrat, in den Jurys oder auf der Geschäftsstelle, die seit der Gründung im Jahre 1989 ein schier unglaubliches Engagement an den Tag gelegt haben, um den «Karren» nicht nur am Laufen zu halten, sondern ihn auch immer wieder trotz einschneidenden Veränderungen auf Kurs zu halten.
Es mag auf Anhieb für die Leser:innen dieser flüchtig skizzierten Zeilen wie ein billiger Übergang klingen, wenn mir bei John Coltranes lyrischem Saxophon ein «Get Going!» entweicht. Aber «Kind of Blue» erinnert mit seinen magischen Momenten an die Demut, die Musik beim Hörer auslösen kann. Und daran, dass die Energie und Zeit, die wir in unsere Förderprogramme stecken, immer im Dienst der Kreativität der Musikschaffenden stehen.
Um die geht es. Und nur um sie.
Mögen die wirtschaftlichen Strukturen zusammenbrechen, um neuen Gegebenheiten Platz zu machen; oder die formalen Bedingungen sich so verändern, dass sich Musikerinnen oder Musiker «neu erfinden» müssen – unsere Aufgabe ist es, uns laufend anzupassen, um mit dem Schaffensdrang Schritt halten zu können. Denn die Kreativität der Schweizer Musikszene ist ungebrochen. Die Anstossfinanzierung «Get Going!» ist eines unserer jüngsten Projekte, die jenseits aller Bedingungen, fernab von Genre-Definitionen und stilistischen Schubladen, den Musikschaffenden die Freiheit ermöglicht, sich nach Belieben zu entfalten.
Gute Musik wird es immer geben. Und gute Musik wird selbst uns überleben – siehe «Kind of Blue». Ja, und selbst die Schallplatte feiert wieder ein fulminantes Comeback. 33 1/3 Umdrehungen pro Minute sind als anachronistisches Statement zu Bits und Bytes gar nicht so übel. Gepaart mit guter Musik dienen sie – wie hier bewiesen – als Stimulanz für gedankliche Spielereien. Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass im Jahre 1959, als «Kind of Blue» aufgenommen wurde, sowohl Miles Davis wie John Coltrane 33 Jahre alt waren?
In diesem Sinne… stay turnin’
Urs Schnell